Caritasverband für die Diözese Speyer
Nikolaus-von-Weis-Straße 6
67346 Speyer

Telefon: 06232 / 209-0
info@caritas-speyer.de

02. April 2024

Von trockenen Nudeln und Busfahrplänen 

Der 2. April ist Welt-Autismus-Tag – Viele Vorurteile über Betroffene 


Er gewann vier Oscars: der Film „Rain Man“ mit Dustin Hoffmann und Tom Cruise über das Zusammenfinden der ungleichen Brüder Raymond und Charlie Babbit. Hoffmann spielt einen Autisten, der drei Millionen Dollar erbt und Cruise gibt dessen jüngeren und zunächst unempathischen Bruder, der die Hälfte des Erbes für sich beansprucht. In dem Film aus dem Jahr 1988 wurde zum ersten Mal die Behinderung einer Autismus Spektrum Störung einer großen Öffentlichkeit bekannt. 
 

„Der Film prägte aber auch Missverständnisse über Autisten“, sagt Petra Spies, Leitung der Fachstelle Autismus des Caritas-Förderzentrums St. Laurentius & Paulus in Landau „Der 2. April ist Welt-Autismus-Tag, eine gute Gelegenheit also, um über diese Missverständnisse aufzuklären.“ Eingeführt wurde der Tag von den Vereinten Nationen 2007. 
 

„Die Behinderung ,Autismus‘ als einheitliches Erscheinungsbild gibt es nicht“, erklärt Petra Spies. „Die Störung kann sehr unterschiedliche Formen annehmen, deshalb spricht man besser von Autismus Spektrum Störungen.“ Dabei seien solche Inselbegabungen, wie sie die Rolle des Raymond Babbitt darstellt, der ein Telefonbuch auswendig lernt und mit einem Blick die Anzahl heruntergefallener Zahnstocher erkennen kann, eher selten. Allerdings: „Die wenigsten Menschen können zum Bei-spiel einen Fehler in der Darstellung der Zahl pi erkennen. Einigen Menschen mit Autismus Spektrum Störung (ASS), die von Mathematik begeistert sind, springt ein Fehler in pi aber vielleicht blitzschnell ins Auge“, so Spies. 
 

Menschen mit ASS könnten oft gut und schnell Details erkennen, während die Mehrheit der Gesellschaft - die so genannten neurotypischen Menschen – weniger gut kleine Details, dafür aber leichter das große Ganze erfassen könnten. „Welche Details Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit ASS aber so schnell wahrnehmen, ist sehr von den individuellen Interessen und ihrem Wissen abhängig. So erkennen manche vielleicht besonders schnell den kleinsten Fussel am Pullover, einen Fehler in einem Programmierungscode oder eine fehlende Radkappe bei einem vorbeifahrenden Fahrzeug“, beschreibt Spies. 
 

Betroffene und ihre Familien würden häufig mit Vorurteilen über Autismus konfrontiert. „Zum Beispiel mit der Annahme, Autismus sei eine Krankheit“, berichtet die Fachfrau. „Diese Aussage trifft Betroffene hart, da es ihre Art zu sein als behandlungsbedürftig und somit unerwünscht kategorisiert. Autismus ist eine Behinderung, die durch neurologische Besonderheiten bedingt ist.“ Ein weiteres Vorurteil behaupte, Menschen mit Autismus könnten nicht sprechen. Dazu sagt Spies: „Wie das gesamte Spektrum der Menschheit umfasst das Autismus-Spektrum sowohl Menschen mit geistiger Behinderung, die nur wenig oder gar nicht verbal kommunizieren, sowie durchschnittlich und hoch intelligente Menschen, die sich ausgezeichnet verbal ausdrücken können.“
 

Verbreitet sei auch die Annahme, Menschen mit Autismus würden immer nur trockene Nudeln oder einfach immer das gleiche essen. „Natürlich essen Menschen mit ASS in der Regel nicht nur ein Lebensmittel“, widerspricht sie. „Aber tatsächlich bevorzugen viele bestimmte Lebensmittel oder Dinge mit einer speziellen Konsistenz oder lehnen andere strikt ab.“ Dies liege an Besonderheiten in der Sinneswahrnehmung. „Beim Schmecken, Riechen, Fühlen und Hören nehmen Betroffene Dinge extremer, anders oder weniger stark wahr, als die Mehrheit der Menschen.“
 

Ein weiteres Vorurteil betrifft die Rain Man-Geschichte mit dem Telefonbuch: „Viele Leute nehmen an, Menschen mit Autismus kennen zum Beispiel alle Fahrpläne auswendig“, erzählt Spies. „Ja, es gibt sie, die Autisten, die alle Zugverbindungen aufsagen können. Manche interessieren sich für Züge oder Pläne oder beides. Vielen geben diese Pläne auch Sicherheit in einer für sie oft unüberschaubaren und reizüberflutenden Welt.“ Diese Routinen, Pläne und Vorhersehbarkeit machten vieles leichter. „Aber die Interessen von Menschen mit Autismus sind so zahlreich wie bei allen anderen auch.“ 
 

Zum Thema Freundschaften gebe es den Glauben, Autisten wollten keine Freunde haben und seien deshalb sozial isoliert. „Es stimmt schon. Viele Menschen mit ASS beschreiben, dass der Kontakt mit anderen Menschen aufgrund ihrer sozialen und kommunikativen Schwierigkeiten sehr anstrengend für sie ist, und sie sich deshalb zeitweise zurückziehen.“ Andere wüssten einfach nicht, wie sie gut mit anderen in Kontakt treten und Freundschaften knüpfen können. „Soziale Interaktionen fallen Betroffenen nicht in den Schoß, sie müssen diese oft mühsam erlernen“, beschreibt Spies, „dennoch haben viele den Wunsch nach sozialer Zugehörigkeit und Beziehungen“.
 

Dazu passt laut Spies auch das Vorurteil, Autisten könnten keinen Blickkontakt aufnehmen. „Diesem Mythos unterliegen selbst Fachkräfte häufig. Aber die Praxis zeigt, es gibt Betroffene, die für Blickkontakt ein gutes Gespür haben oder es sich antrainiert haben.“ Wie oft hörten Kinder den Satz „Schau mich an, wenn ich mit dir spreche“. Es gebe zahlreiche Berichte von Personen mit ASS, die deutlich machen, wie anstrengend dieses Anpassen an die sozial erwünschten Verhaltensweisen, wie Blickkontakt, Small Talk und ähnliches sei.
 

„Viele glauben auch, Autisten hätten keine Gefühle und keinen Sinn für Humor“, listet sie weiter auf. „Hierin liegt der größte Irrtum, denn Betroffene verfügen selbstverständlich über dieselben Emotionen, wie wir alle. Oft fällt es ihnen aber schwer, Emotionen und deren Ursachen bei ihrem Gegenüber zu erkennen und sie bei sich selbst wahrzunehmen.“ Der teilweise neutral anmutende Gesichtsausdruck und eine monotonere Sprechweise verstärkten den Eindruck, sie würden nicht über dieselben Grundemotionen verfügen, wie neurotypische Menschen. „Lernen wir Autisten aber kennen, und benennen Gefühle und Gedanken, können wir viel über ihre Empfindungen und ihren Humor erfahren. Wenn sie auch Schwierigkeiten mit sprichwörtlicher Sprache und Ironie haben, entwickeln sie doch einen eigenen und oft mitreißenden Humor“, weiß Spies aus eigener Erfahrung.
 

Autisten sehe man ihre Behinderung nicht an. „Das führt dazu, dass sie nicht als solche erkannt, verstanden und entsprechend unterstützt werden“, so Spies. „Stattdessen wird Eltern oft unterstellt, sie hätten ihre Kinder nicht erzogen oder Personen mit ASS wüssten sich nicht zu benehmen.“ 
 

Die Mitarbeitenden der Fachstelle für Autismus des Caritas-Förderzentrums raten für den Umgang mit Menschen mit Autismus zu folgenden Tipps: „Verwenden Sie kurze, einfache Sätze. Meiden oder erklären Sie sprichwörtliche Sprache und Ironie.“ Sensorische Überreizung sei, wenn möglich, zu vermeiden. Gerüche und Geräusche in der Umgebung müsse man beachten. „Machen Sie Abläufe klar und halten Sie diese ein. Orientieren Sie sich an den Interessen des Gegenübers, um ihm den Kontakt zu Ihnen zu erleichtern.“ Hilfreich sei immer die Frage, was der Betroffene gerade braucht. „Denn so, wie Menschen mit ASS Schwierigkeiten haben, sich in uns hineinzuversetzen, ist es auch für nichtautistische Menschen schwer möglich, deren Perspektive einzunehmen“, sagt Spies. Es sei aber immer lohnend, sich damit auseinanderzusetzen.  


Text: Melanie Müller von Klingspor & Petra Spies für den Caritasverband für die Diözese Speyer
Foto: Adobe Stock vejaa
Bildunterschrift: Das Puzzle-Herz ist weltweit das Symbol für Autismus Spektrum Störung.
 


Kontakt: 
Caritas Förderzentrum St. Laurentius und Paulus
Ambulante Dienste/Fachstelle Autismus
Max Planck Straße 7
76829 Landau
Tel.: 06341/599-560
E- Mail: petra.spies@cbs-speyer.de